#07 Vorsicht ist besser als Nachsicht- die perioperative Antibiotikaprophylaxe

Shownotes

In der aktuellen Podcast-Folge beschäftigten sich Prof. Mathias Pletz und sein Gast, Prof. Christian Eckmann aus Hann. Münden, mit der perioperativen Antibiotikaprophylaxe.

Relevante Publikationen: Amerikanische Leitlinie zur antimikrobiellen Prophylaxe bei Operationen Würzburger Studie: Cefuroxim/Metronidazol vs. Cefazolin/Metronidazol zur Prophylaxe bei kolorektalen Operationen Israelische Studie: Mehr ESBL-Wundinfektionen bei ESBL Besiedelten Studie: Ertapenem-Prophylaxe vor kolorektalen Eingriffen und ESBL Besiedlung besser als Cefuroxim/Metronidazol ESCMID-LL: Perioperative Antibiotikaprohylaxe bei MRGN Ökonomische Daten zu nosokomialen Wundinfektionen in Deutschland ESCMID-LL: Dekolonisation von MRGN-Trägern Cochrane-Analyse: Orale ABx und Spülung als Prävention vor kolorektalen Eingriffen Studie: Re-Dosing bei langen Operationen Studie: Gewebespiegelmessung von Cefazolin bei verschiedenem BMI Metaanalyse: Prophylaxe nach Operation fortführen? Studie: Mehr Nebenwirkungen durch Fortführen der Prophylaxe nach Operation Studie: Dekolonisation bei Hoch-Risikoeingriffen verringert S. aureus Wundinfektionsrate WHO-Empfehlung zur Prävention von Wundinfektionen KRINKO-Empfehlung zur Prävention von Wundinfektionen Review: SSI Prävention

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Consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast

mit Prof. Mathias Pletz

Folge 7 vom [17.05.2024]

Vorsicht ist besser als Nachsicht – die perioperative Antibiotikaprophylaxe

Zu Gast heute:

Zu Gast heute: Prof. Dr. Christian Eckmann.

Zu Gast heute: ________________________________________

Zu Gast heute: Prof. Mathias Pletz …

Zu Gast heute: … ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Jena, aktueller Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und einer der führenden Infektiologen Deutschlands.

Zu Gast heute: ________________________________________

Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Mathias Pletz.

Mathias Pletz: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Das ist eine neue Folge von consilium infectiorum, dem infektiologischen Klinik-Podcast. Mein Name ist Mathias Pletz, und ich begrüße unseren heutigen Gast, Herrn Professor Christian Eckmann. Sie kennen Herrn Prof. Eckmann. Er war schon einmal Gast bei uns im Podcast. Er ist ein guter Freund, und er ist Facharzt für Thoraxchirurgie, für Abdominalchirurgie, er ist Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie in Hannoversch Münden und vor allem: Er ist ABS-Experte. Er ist einer der wenigen Chirurgen, die sich wirklich sehr gut mit Antibiotika auskennen. Und das fand ich auch bemerkenswert – wir haben im Vorfeld des Podcasts auch noch etwas gesprochen – und ich habe erfahren, dass er sogar das ABS-Team an seinem Klinikum leitet. Heute soll es um ein Feld gehen, das besonders wichtig ist bezüglich Antibiotic Stewardship, wo die Chirurgen eine große Rolle spielen, nämlich die perioperative Prophylaxe. Er hat verschiedene S3-Leitlinien hier begleitet als Kapitelautor und eine ganz relevante Leitlinie, die im Laufe des Jahres hoffentlich noch publiziert wird und kurz vor dem Konsensus steht, ist die „S3-Leitlinie „perioperative Prophylaxe“. Da verantwortet er das Kapitel „Sondersituationen“, über das wir heute auch sprechen werden, und „elektive abdominalchirurgische Eingriffe“. Lieber Christian, vielen Dank, dass du wieder bei uns bist. Herzlich willkommen!

Christian Eckmann: Lieber Mathias, vielen Dank für die sehr warme und herzliche Einführung und natürlich auch einen herzlichen guten Tag an alle Zuhörerinnen und Zuhörer.

Mathias Pletz: Ja, wir freuen uns immer, dass wir wirklich jemanden haben, mit dem wir über perioperative Prophylaxe sprechen, der dann letzten Endes auch die Operationen verantworten muss, weil es ja ein Feld ist, wo sich die Verantwortlichkeiten aufteilen. Zum Teil machen es die Anästhesisten, zum Teil die Chirurgen, die ABS-Experten, die auch oftmals Internisten sind. Deswegen heute jemanden als Gast zu haben, der auch die operative Seite gut einschätzen kann und für das Outcome des Patienten letzten Endes die Verantwortung trägt, das finde ich immer ganz besonders bei solchen Gesprächen. So, wollen wir starten? Was ist perioperative Prophylaxe aus deiner Sicht? Ist das immer erforderlich oder gibt es auch Situationen, wo man auf die perioperative Prophylaxe verzichten und Antibiotika einsparen kann?

Mathias Pletz: Einteilung in „sauber“, „sauber kontaminiert“ und „kontaminiert“

Christian Eckmann: Ja, also die perioperative Prophylaxe ist ein Baustein in einem Gesamtkonzept der Verhinderung postoperativer Wundinfektionen. Das ist multimodal. Es betrifft sowohl Dinge, die Chirurgen angehen wie: Womit wasche ich steril ab? Oder: Welches Nahtmaterial verwende ich? Es geht auch um anästhesiologische Aspekte wie Normothermie und Normoglykämie, kommen wir bestimmt noch drauf. Es gibt hygienische Aspekte eines sauberen OP-Saals. Es ist also wirklich ein interdisziplinäres Paket. Die perioperative Prophylaxe kann sehr wirkungsvoll sein, wenn sie gut eingesetzt wird, in der richtigen Indikation für den richtigen Eingriff sehr segensreich wirken und die Anzahl von Wundinfektionen bei bestimmten Operationen, wie zum Beispiel kolorektalen Operationen, wo die Wundinfektionsrate 10, 15 % bestimmt ist, sehr wirkungsvoll senken. Aber es gibt eine Reihe von Eingriffen, bei denen wir keine perioperative Prophylaxe anwenden müssen, weil die Eingriffe an sich schon mit einer sehr geringen Wundinfektionsrate vergesellschaftet sind, und die Anzahl der Patienten, denen man eine Prophylaxe geben müsste, um eine Wundinfektion zu verhindern, zum Teil über 200 oder 300 ist. Ein klassisches Beispiel dieser sogenannten „sauberen Eingriffe“ wäre die Schilddrüsen-Chirurgie. Es wird an der Oberfläche gearbeitet, es wird kein alloplastisches Material implantiert, eine vergleichsweise kurze Operationszeit. Ausnahmen gibt's natürlich immer bei Risikopatienten, aber wenn ein elektiver Eingriff in der Schilddrüsenchirurgie ansteht, dann braucht man keine perioperative Prophylaxe zu geben und hat trotzdem eine sehr niedrige Wundinfektionsrate. Anders sieht es aus – es kann auch mal bei sauberen Eingriffen so sein – wenn man massiv alloplastisches Material einbringt wie in der Hüft- oder Kniegelenks-Chirurgie, dann ist es sinnvoll, eine Prophylaxe zu geben, um die Katastrophe der tiefen Infektionen noch weiter zu verhindern. Aber an sich liegt der eigentliche Schwerpunkt, der perioperative Prophylaxe bei Eingriffen, die entweder kontaminiert oder sauber kontaminiert sind. Da haben wir, wenn geringe oder größere Mengen nicht-sterilen Materials in die Operationswunde gelangen können, eine Superindikation für eine perioperative Prophylaxe mit einer NNT, also einer Anzahl von Patienten, denen man eine Prophylaxe geben muss, um eine Wundinfektion zu verhindern, die zum Teil bei 4 liegt, also einem sensationell guten Wert.

Mathias Pletz: Ja, vielen Dank. Ich glaube, für unsere Zuhörer, die chirurgisch nicht ganz so versiert sind, könntest du nochmal erklären, wie diese Eingriffe – du hast die Begriffe schon genannt: „sauber“, „kontaminiert“, „sauber kontaminiert“ – wie diese Eingriffe zu klassifizieren sind und bei welcher Klassifikation dann immer eine perioperative Prophylaxe erforderlich ist? Also, eines habe ich jetzt schon mitgenommen: immer, wenn alloplastisches Material eingebracht wird. Das wäre ein Grund. Aber vielleicht nochmal in Abhängigkeit von der Öffnung welcher Körperhöhlen und ob das quasi ein Notfall- oder ein Elektiv-Eingriff ist. Das wäre ganz hilfreich.

Christian Eckmann: Also, die Einteilung, auf die ich gerade zu sprechen gekommen war, ist uralt, 40 Jahre alt (). Sie beruhte auf einer retrospektiven Analyse, und da hat man einklassifiziert in „sauber“, also wie gesagt, keine Freisetzung nicht-sterilen Materials bei der Operation, „sauber kontaminiert“, geringe Mengen, also zum Beispiel bei Magen-Teilresektion, wo man den Magen gar nicht eröffnet, sondern nur mit einem Stapler einen gewissen Anteil entfernt. Und dann haben wir „kontaminierte Operationen“, bei denen man den Darm richtig aufmacht, also wenn man Dickdarmresektionen durchführt und dann eine Anastomose herstellt, dann muss man ja automatisch den Darm eröffnen. Und dann gab es in dieser Klassifikation die sogenannten dirty, die „schmutzigen Eingriffe“ mit Austritt von Eiter. Aber die gehören eigentlich nicht mehr zur Prophylaxe, das ist ja Therapie. Wo Eiter austritt, ist auch schon eine Infektion, sodass wir im Grunde genommen bei der Klassifikation „sauber“, „sauber kontaminiert“ und „kontaminiert“ sind, und die Wundinfektionsraten sind 1 %, 5 %, 15 %. Da beginnt es schon sehr, sehr relevant zu werden, ab „sauber kontaminiert“. Im Grunde genommen haben wir schon Veränderungen im chirurgischen Vorgehen auch bemerkt. Also, die Implantation alloplastischen Materials spielt eine Rolle, wie du sagst. Mittlerweile spielt natürlich auch der Zugangsweg eine Rolle. Als diese Klassifikation ersonnen wurde, gab es keine minimalinvasive Chirurgie. Mittlerweile haben wir viele Eingriffe auf laparoskopisch oder sogar robotisch-assistiert umgestellt, mit veränderten Wundinfektionsraten. Auch das müssen wir mittlerweile berücksichtigen. Aber für den klinischen Alltag ist die Einteilung in „sauber“, „sauber kontaminiert“ und „kontaminiert“ pragmatisch und gut umsetzbar.

Substanzauswahl: Cefazolin kann reichen, bei Anaerobiern und Gramnegativen verändern

Mathias Pletz: Ja, vielen Dank nochmal für die Klarstellung. Wir werden diese Arbeit, die du genannt hast, auch in den Shownotes verlinken. Ich habe es auch ganz oft gelesen, aber wie so oft, macht man sich nicht immer die Mühe, die Originalpublikation, gerade wenn sie schon älter ist, herauszusuchen. Also das ist, glaube ich, auch sehr hilfreich, wenn wir die in die Shownotes stellen. Nächster Punkt wäre: Nach welchen Kriterien wählst du das entsprechende Antibiotikum aus? Ich hatte in den letzten Jahren den Eindruck, wir haben gelernt, dass Staphylococcus aureus eigentlich der ganz wesentliche Erreger für Wundinfektionen ist. Cefazolin ist hier ein sehr gut wirksames Medikament, was eben auch kein großes Problem bezüglich Allergien hat und passt da sehr gut. Aber Cefazolin für alle Operationen ist sicherlich nicht die Lösung. Wie gehst du da vor? Vor allen Dingen, um schon mal ein bisschen auf die Sondersituationen zu sprechen zu kommen: Wann weichst du vom Cefazolin ab?

Christian Eckmann: Also grundsätzlich geht es erstmal um den Eingriff, das hattest du schon korrekt gesagt. Das zu erwartende Erregerspektrum bestimmt das Medikament, das ich aussuche. Also, bei der Hernienchirurgie, bei Hüft- und Kniegelenkersatz-Chirurgie, bei der Gefäßchirurgie haben wir es fast ausschließlich mit grampositiven Erregern zu tun. Dort sollten wir ein Medikament wählen, das auch ausschließlich auf grampositive Erreger wirkt. Da brauchen wir keine erweiterte Prophylaxe. Da ist es in der Tat so, dass dann das Erstgenerations-Cephalosporin Cefazolin in vielen Fällen sehr sinnvoll ist. Dann wiederum gibt es Eingriffe aus dem urologischen, gynäkologischen, viszeralchirurgischen Bereich, bei denen das Erregerspektrum der Wundinfektion sich überwiegend aus gramnegativen Erregern zusammensetzt: Enterobacterales. Zum Teil werden auch mal Enterkokken nachgewiesen, aber die sind meistens nur Besiedler und keine Verursacher von Wundinfektionen. Dementsprechend müssen wir daraufhin unsere Prophylaxe ändern. Auch anaerobe Erreger können im unteren Gastrointestinaltrakt eine Rolle spielt. Die werden da häufig nachgewiesen. Also müssen wir unser Spektrum an Medikamenten, dass wir da anbieten, verändern, und dann wäre ein Zweitgenerations-Cephalosporin wie Cefuroxim kombiniert mit Metronidazol eine sehr sinnvolle Gabe. Da könnte man fragen: ‚Kann man da nicht Cefazolin geben plus Metronidazol?‘. Dem halte ich entgegen, dass Cefazolin ein exzellentes Medikament für grampositive Erreger ist, aber keine besonders starke Aktivität gegen gramnegative Erreger hat. Und wir haben interessanterweise ausgerechnet aus Deutschland, aus Würzburg, eine Publikation (), in der die Prophylaxe bei kolorektalen Operationen von Cefuroxim / Metronidazol auf Cefazolin / Metronidazol geändert wurde mit dem Ergebnis, dass sich die Wundinfektionsrate nahezu verdoppelte. Also Cefuroxim ist wohl doch besser als Cefazolin, wenn man diese Erregerkonstellation berücksichtigt. Wir kommen später noch auf die sogenannte gezielte Prophylaxe, targeted prophylaxis, aber eigentlich ist auch das schon eine gezielte Prophylaxe. Wir ahnen das Erregerspektrum, wir wissen es ziemlich genau, und wir passen auch schon bei den, ich sag mal, „normalen“ Patienten, je nach Eingriff unsere Prophylaxe an.

Christian Eckmann: Enterokokken nur bei besonderen Konstellationen miterfassen

Mathias Pletz: Eine kurze Zwischenfrage. Du hattest die Hernienchirurgie angesprochen. Da wird ja oftmals alloplastisches Material eingebracht, das Netz, und da könnten natürlich Enterokokken schon eine Rolle spielen. Deswegen hatte sich mir gerade die Frage gestellt: Muss ich in dieser Indikation, gerade wenn ich über die Leiste gehe, nicht die Enterokokken auch noch erfassen? Und das kann das Cefazolin ja nicht. Ich habe gestern zum Beispiel ein Symposium gehabt mit Kardiologen, und bei den Kardiologen wird auch die Prophylaxe für die TAVI, wenn man über die Leiste eingeht, mittlerweile so erweitert, dass man auch die Enterokokken mit erfasst.

Christian Eckmann: Statistisch gesehen ist das nicht der Fall bei den Hernien. Wir haben ja ganz gute Daten aus dem KISS-System. Das ist fast so gut wie immer Staphylococcus aureus und Enterokokken könnten theoretisch eine Rolle spielen, aber sie werden sehr selten nachgewiesen, weil sie tatsächlich in der Form Besiedler sind und keine Infektionen auslösen. Wir hatten ja schon bei den intraabdominellen Infektionen darüber gesprochen, ob man Enterokokken mit hineinnehmen muss, und wir haben festgestellt, nee, muss man eigentlich nicht. Es gibt auch gute Evidenz dafür, dass man bei Patienten ohne Risikofaktoren Enterokokken nicht berücksichtigen sollte. Daher würde ich wegen der geringen kausalen Pathogenität der Enterokokken in dem Bereich auf eine Abschirmung der Enterokokken verzichten, es bei dem Cefazolin belassen. Und das ist auch das, was die internationalen – und nationalen jetzt hoffentlich bald – Leitlinien so vorgeben. Es sei denn, jetzt kommen wir natürlich auf den anderen Punkt, wir haben eine besondere Konstellation. Das ist nämlich das Zweite. Neben dem Eingriff ist auch der Patient unheimlich wichtig. Was hat er für eine möglicherweise bekannte Besiedlung in dem Bereich, der zu operieren ist? Wir kommen glaube ich noch drauf. Wenn er angibt, er hätte eine Penicillin-Allergie – auch ein sehr interessantes Thema: Hat er die auch wirklich? – dann müssen wir genau anamnestizieren: ‚Was ist denn damals gewesen?‘ ‚Ja, mir war schlecht.‘ Okay, das ist jetzt für mich kein hartes Kriterium. Aber wenn er sagt: ‚Ich war auf der Intensivstation mit einem anaphylaktischen Schock.‘, dann würde ich sagen: ‚Einverstanden, Sie haben eine Penicillin-Allergie.‘ Dann müsste man das Präparat ändern und ggf. die Substanzklasse wechseln und dann zum Beispiel der Abdominalchirurgie ein Fluorchinolon mit Metronidazol kombinieren. Also, da sind ganz, ganz wichtige Aspekte, die nicht nur mit dem Eingriff, sondern auch mit der Patientenkonstellation zu tun haben. Ja, dritter Punkt, da kannst du gleich wieder eingreifen: Patient mit Immunsuppression. Seit ich hier am Nierentransplantationszentrum in Hann. Münden arbeite, da habe ich eine ganze Menge Immunsupprimierte gesehen. Und ich muss sagen, ich habe da irrsinnig viel gelernt, und ich gebe immunsupprimieren Patienten bei Eingriffen, bei denen ich normalerweise keine Prophylaxe gebe, auch eine Prophylaxe, weil sie aufgrund der Immunkompromittierung mit ihrer intrinsischen Fähigkeit, das zu verarbeiten, schlechter dran sind und die Unterstützung durch die Prophylaxe brauchen.

Christian Eckmann: Targeted prophylaxis – Wesentliche Aspekte

Mathias Pletz: Ja, du hattest schon mehrfach gesagt, das ist die „targeted prophylaxis“ oder eine individualisierte Prophylaxe, und hattest auch jetzt gerade schon die drei wesentlichen Dinge genannt: Also der Kolonisationsstatus des Patienten. Muss ich bestimmte multiresistente Erreger, die bekannt sind, mit adressieren? Dann die Penicillinallergie, die ja oftmals nur eine Amoxicillinallergie Typ 4 Gell & Coombs ist, also nicht wirklich IgE-vermittelt, keine gefährliche Anaphylaxie, sondern dieses makulopapuläre Exanthem, das man dann sieht. Du hast es sehr schön gesagt gerade, also die Frage ist zum einen der Schweregrad bei einer Allergie, ob der Patient tatsächlich Katecholamine gebraucht hat, ob er einen Schock hatte, ob er Luftnot hatte, und ein guter Parameter ist auch, wann diese Reaktion aufgetreten ist. Also alles, was innerhalb von sechs Stunden nach Erstgabe auftritt, da muss man wirklich an Anaphylaxie denken. Aber der Klassiker ist ja das Amoxicillin oder das Amoxicillin / Clavulansäure wird verordnet, und dann so am dritten, vierten Tag kommt das makulopapuläre Exanthem. Das wäre eben klassisch, lymphozytär vermittelt und keine Gefahr der Anaphylaxie. Und du hattest die Immunsuppression noch genannt.

Mathias Pletz: Umgang mit ESBL

Mathias Pletz: Am spannendsten finde ich gerade bei den Erregern: Wann muss ich denn die multiresistenten Erreger mit adressieren? Und vielleicht die Frage noch ein bisschen weiter gefasst, du hattest Würzburg als Beispiel genannt mit dem Wechsel von Cefuroxim auf Cefazolin, Anstieg der Infektionen. Aber wir wissen ja mittlerweile, dass auch Cefuroxim nicht mehr so gut wirksam ist, weil etwa 10–15 % der Patienten, die in die Klinik kommen, das haben wir selbst einmal publiziert, zum Teil schon eine ESBL-Besiedlung haben. Und muss ich dann eigentlich ESBL vorher gezielt screenen und dann meine Prophylaxe anpassen, oder muss ich ESBL in der Darmchirurgie generell immer mit erfassen? Wie siehst du das?

Christian Eckmann: Ja, das ist ganz interessant. Ich fange mal an im Jahr 2015. Da war ich in Dubai. Da war ein Kongress, und da hatte ich die Aufgabe – da war eine „Pro–Con“-Sitzung: Soll man bei Besiedlung mit multiresistenten, gramnegativen Erregern die perioperative Prophylaxe anpassen, ja / nein? Ich war dafür und hatte am Anfang ein vernichtendes Votum gegen mich, weil 80 % der Leute, die da im Saal waren, der Meinung waren: Nein, da muss man das geben, man gibt Cefuroxim / Metronidazol. Dann habe ich versucht, die Kollegen zu überzeugen, und es war hinterher ein bisschen besser. Aber das war zu dem Zeitpunkt in keiner Weise in der infektiologischen Öffentlichkeit en vogue, eine perioperative Antibiotikaprophylaxe dem Kolonisationsstatus anzupassen. Man wollte unbedingt vermeiden, sogenannte Reserveantibiotika in der Prophylaxe anzuwenden. Mittlerweile hat sich ein absoluter Paradigmenwechsel ergeben aufgrund der verfügbaren Evidenz. Zum einen konnte man nachweisen, dass die Patienten, die mit ESBL-Bildern besiedelt sind, auch sehr viel häufiger ESBL-Wundinfektionen entwickeln. Das war der erste Part, der aus der israelischen Arbeitsgruppe um Yehuda Carmeli () geklärt wurde. Der zweite Part, den sie auch geklärt haben, war: Was passiert, wenn wir die Prophylaxe anpassen? Und in der Studie von Nutman et al. (), auch aus der Arbeitsgruppe von Carmeli, die von Kollegen aus Israel, Serbien und der Schweiz erstellt wurde, stratifizierte man die Patienten mit ESBL-Besiedlung, die man nachgewiesen hatte, vor kolorektalen Eingriffen in: Gruppe A, die bekommen das Gleiche wie immer, Cefuroxim / Metronidazol und Gruppe B, die bekommen Ertapenem, ein ESBL-wirksames Carbapenem ohne Pseudomonas-Aktivität, und die Rate an Wundinfektionen wurde in der Ertapenem-Gruppe sensationell, signifikant verringert. Die Anzahl der ESBL-Wundinfektionen sogar um 86 %. Nachfolgend war ich Mitglied einer interdisziplinären europäischen Arbeitsgruppe der ESCMID, der Europäischen Gesellschaft für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten, die Ende des letzten Jahres eine internationale Leitlinie zu dem Thema verfasst hat auf der Basis der verfügbaren Evidenz (), und wir sagen: ja, die Patienten vor kolorektalen und Lebertransplantationseingriffen screenen. Ein generelles Screening würde man nur empfehlen in Hochprävalenz-Situationen, also über 15 % – weiß keiner so genau, aber Risikokonstellation sollten immer präoperativ bei elektiven kolorektalen Eingriffen zu einem Screening führen. Das wären Patienten, bei denen schon mal eine 3MRGN- Besiedlung vorhanden war, Patienten mit einem Auslandsaufenthalt in den entsprechenden Hochprävalenzländern, Patienten mit rezenter Antibiotikatherapie, mit rezentem Intensivaufenthalt und mit rezenten Risikodiagnosen wie einer postoperativen Peritonitis, die vor der elektiven Operation behandelt wurden. Diese Patienten, das empfehlen wir, sollte man immer screenen, und dann, wenn man – aber nur dann, wenn man – den ESBL-Bildner nachgewiesen hat, auch die Prophylaxe anpassen, zum Beispiel mit Ertapenem.

Mathias Pletz: An der Stelle will ich noch mal einhaken. Ich glaube auch, dass Ertapenem aus ABS-Sicht ein gutes Antibiotikum ist. Da gibt es verschiedene, wenn auch monozentrische, retrospektive Kohortenstudien, die zeigen, dass mit einem Einsatz von Ertapenem, wenn man zum Beispiel Fluorchinolone dafür einspart, sich auch die Resistenzsituation am Haus bessern kann. Aber Ertapenem ist ja deutlich teurer als zum Beispiel Cefazolin. Und die Frage ist, gibt's da auch Modellierungen, womit man rechtfertigen kann, dass es auch ökonomisch sinnvoll ist? Es ist zwar traurig, dass wir diese Aspekte überhaupt diskutieren müssen, aber faktisch sind die Ressourcen begrenzt und wir müssen uns überlegen, wo sich die Investition lohnt, um eben das Maximale für alle Patienten herauszuholen. Wie machst du das konkret? Nimmst du Ertapenem dann auch und musstest du das rechtfertigen?

Ökonomische Aspekte: gut investierte Antibiotika

Christian Eckmann: Ja, das nehme ich, und das muss ich in dem Falle, weil es jetzt nicht so häufig ist, dass man es einsetzt. Das ist ja von den kolorektalen Eingriffen, die wir durchführen, eine Minderheit von unter 10 % der Patienten. Insofern kommen da so ein paar 100,- € im Jahr zusammen. Das ist nicht so relevant. Aber, na klar, erst mal danke für das Stichwort. Wie groß ist der medizinische und ökonomische Schaden von Wundinfektionen in Deutschland? Und wir hatten bisher die KISS-Daten, die den ökonomischen Bereich ausgeklammert hatten und die uns sagten: Ja, Wundinfektionen gehören zu den Top-3 nosokomialen Infektionen. Aber insgesamt, wenn wir es zusammenrechnen, erleiden so 1 bis 1,5 % eine Wundinfektion. Das fand ich immer sehr niedrig, weil auch in Vergleichsländern wie der Schweiz die Zahl zwischen 4 und 5 % liegt. Wir haben dann retrospektiv die Daten von 4 Millionen entlassenen deutschen Patienten analysiert und im PLOS One publiziert () und konnten bezüglich des medizinischen Schadens herausfinden, dass die Wundinfektionsrate bei etwa 4,6 % in Deutschland liegt, over all. Die Krankenhaus-Aufenthaltsdauer ist verdoppelt, die Sterblichkeit ist verdoppelt, signifikant, und die Wundinfektion ist unterfinanziert mit etwa 1.500,- € pro Fall. Mit anderen Worten, ein Medikament, das 30, 40,- € kostet, macht sich mehr als bezahlt, wenn man auch nur eine Wundinfektion, die mindestens 1.500,- € extra kostet, dafür vermeiden kann. Also, die Kosten–Nutzen-Rechnung ist in der Modellierung relativ einfach. Wir sind jetzt gerade dabei als Folgearbeit genau das zu machen, was du sagst. Dass wir da eine Projektion machen mit den realen Daten, die wir haben, und wie sinnvoll die Prophylaxe ist. Wie wertvoll es ist, Maßnahmen zu ergreifen, um Wundinfektionen zu verringern, und dass da eine Summe von 30, 40,- € pro Patient keine Rolle spielt.

Christian Eckmann: Einsatz von Carbapenemen und Resistenzentwicklung

Mathias Pletz: Das leuchtet absolut ein, auch wenn man das persönliche Schicksal betrachtet. Es gibt ja manche Wundinfektionen, die den Patienten wirklich aus dem Leben reißen können. Eine zweite Frage, die man kritisch einwerfen könnte, wenn wir jetzt ein Carbapenem zur Prophylaxe einsetzen: Deutschland ist ja eher ein Niedrig-Inzidenzgebiet, was multiresistente Erreger angeht, aber du bist ja international gut vernetzt. Es gibt sicherlich auch Bereiche in Südeuropa, wo ESBL… oder für Südostasien gab's ja schon Publikationen, die sieben, acht Jahre alt waren, die gesagt haben, 60 % der Allgemeinbevölkerung sind ESBL-kolonisiert. Da müsste man das Ertapenem ja zum Beispiel sehr häufig einsetzen, auch wenn es nur ein single shot ist. Gibt es Daten, dass dadurch vielleicht auch weitere Resistenzen selektioniert werden, also Richtung 4MRGN?

Christian Eckmann: Punkt 1: Kollegen in Korea oder in Indonesien, mit denen ich freundschaftlich verbunden bin, auch mit China, weiß ich, dass sie es tatsächlich machen, dass sie schon bei elektiven Eingriffen quasi nicht mehr screenen, sondern davon ausgehen, dass die Patienten in der Mehrheit ESBL-besiedelt sind, und deswegen die Standard-Prophylaxe, die bei uns Cefuroxim / Metronidazol ist, dort mittlerweile schon entweder Pip / Tazo oder Carbapenem geworden ist. Das will ich hier nicht verschweigen. Es liegen aber keine Ergebnisse oder Resultate vor, in was es sich äußert, weil die Situation dort ohnehin schon verzweifelt schlecht ist, sogar was Carbapenem-Resistenzen angeht. Ich hätte fast gesagt, schlimmer kann es nicht mehr werden, als es ohnehin schon ist. Wenn auf einer chinesischen Intensivstation von 1.000 Patienten mit abdomineller Sepsis 300 Carbapenem-resistente Enterobacterales haben, dann kann man mit der Ertapenem-Prophylaxe nicht mehr viel kaputtmachen in dieser ohnehin schon sehr verzweifelten Situation. Trotzdem hast du natürlich völlig Recht. Ertapenem gehört laut WHO in die „Watch-Gruppe“. Ertapenem ist noch nicht in der „Reserve-Gruppe“, glaube ich. „Access“, „Watch“, „Reserve“. Insofern ist es als, sagen wir mal, eingeschränktes Carbapenem sicherlich unter Beobachtung, und ich gehe mit dir voll mit: Das darf man in Deutschland nur dann einsetzen, wenn wirklich der Nachweis vor der Operation erbracht ist, da ist ein resistenter, gramnegativer Erreger, der den Patienten kolonisiert. Wir wissen ja auch, dass man die Kolonisation nicht loswerden kann. Eine Dekolonisation mit was auch immer, fäkalem Mikrobiomtransfer, Neomycin – ist alles gescheitert. Auch darüber gibt es eine internationale ESCMID-Leitlinie (), die sagt: Sorry, derzeit gibt's nichts zur Dekolonisation des Dickdarms, was wirklich sinnvoll ist bei multiresistenten Erregern. Also, wir müssen anpassen!

Christian Eckmann: Selektive Darmdekontamination?

Mathias Pletz: Du hast das Stichwort gerade gegeben. Das wollte ich dich nämlich gleich fragen. Was hältst du von sozusagen „Vorbereitung“, gerade bei der Kolonchirurgie, diese selektive Darmdekontamination, die manchmal gemacht wird, also nicht nur abführen und Spülung, sondern auch Gabe von nicht-resorbierbaren Antibiotika, wie zum Beispiel Neomycin? Bringt das etwas? Muss ich das zusätzlich zur i.v.-gegebenen perioperativen Prophylaxe machen? Kann ich das anstatt machen, oder kann ich mir das vielleicht sogar sparen?

Christian Eckmann: Das ist ganz interessant. Als ich junger Assistenzarzt war, da wurden alle Patienten am Darm gespült. Dann kam die Evidenz aus den fast-track/ERAS-, den „Enhanced Recovery After Surgery“-Studien: Das ist gar nicht gut fürs Mikrobiom, wenn man sie spült, lasst das mal sein, operiert die Patienten einfach so. Das haben wir dann auch gemacht. Und dann kamen aus den USA Registerstudien von diesem Veterans Affairs (VA) Health Care System, die zeigten, wenn man die doch spült und der Spülung Antibiotika, wie zum Beispiel Nicht-Resorbierbare wie Neomycin hinzufügt, dann sinkt die Wundinfektionsrate, dann sinkt sogar die Anastomosen-Insuffizienz-Rate. Interessanter Aspekt. Und da gibt es eine Cochrane-Analyse, die im letzten Jahr von einer deutschen Kollegin, Maria Willis aus Bonn, publiziert wurde (), und alle Arbeiten zusammengenommen, ergeben den Sinn: Ja, es wird durch die Hinzuführung oraler Antibiotika und einer Spülung vor kolorektalen Eingriffen die Wundinfektionsrate signifikant gesenkt. Das stimmt. Aber die Regime sind sehr unterschiedlich. Die einen geben Neomycin sechsmal, und die anderen, Paromomycin – weiß ich nicht was. Viele sind auch in Deutschland gar nicht mehr erhältlich oder müssen von Apotheken wieder zusammengemixt werden. Die entscheidende Frage für mich ist nicht, ob die Patienten oral perioperativ Antibiotika nehmen sollen. Das ist, glaube ich, richtig, sondern: Müssen sie auch noch gespült werden? Und da haben wir zwei tolle Arbeiten. Die eine ist von einer spanischen Arbeitsgruppe, einer chirurgischen Arbeitsgruppe aus Barcelona, und sie haben auf die Spülung verzichtet und haben den Patienten lediglich oral Antibiotika gegeben in der einen Gruppe und haben in der anderen Gruppe keine oralen Antibiotika präoperativ gegeben und festgestellt, dass die Wundinfektionsrate sich halbiert durch das präoperative orale Antibiotikaregime, ob man nun spült oder nicht. Mit anderen Worten, die Spülerei ist, glaube ich, nicht das Entscheidende, sondern die orale Antibiotikagabe. Die Kollegen dort haben um 18:00 und um 24:00 h Ciprofloxazin und Metronidazol jeweils eine Tablette gegeben, und so mache ich das auch. Wir verzichten aber nicht auf die perioperative intravenöse Prophylaxe. Die war Bestandteil aller dieser Studien, und die halte ich auch für die Verhinderung von oberflächlichen und tiefen Wundinfektionen, nicht den Organ-assoziierten, für nach wie vor gerechtfertigt.

Mathias Pletz: Spannend! Also, du hast auch wieder eine Frage vorweggenommen, die ich dir stellen wollte, nämlich, ob die Chinolone in der Prophylaxe auch eine Rolle spielen, aber für sozusagen die Reduktion der Darmflora mit diesen zwei Gaben am Abend vor der OP gibt es sehr gute Daten, die das unterstützen.

Christian Eckmann: Ja, wie gesagt, auch die Insuffizienzrate sinkt. Die Frage ist, warum eigentlich? Dafür gibt es derzeit nur Hypothesen. Eine Hypothese ist, dass Fibrin eine große Rolle spielt für die Heilung der andere Anastomose. Dass da so ein Fibrin-Schutzwall drum herum steht, dass das Mikrobiom des Darms fibrinolytisch wirkt und man in dem Moment, wo man in das Mikrobiom vorübergehend eingreift durch die Antibiotikaprophylaxe, man diese fibronolytische Aktivität inhibiert und dann sich mehr Fibrin um den inneren Rand der Anastomose herum bilden kann und deswegen weniger Insuffizienzen auftreten. Aber das ist experimentell, dass es nicht wirklich gut belegt, weil man sich natürlich die Frage stellen muss, warum ist das so? Aber ich denke, dass wir in der Erweiterung dieses Konzepts, aber auch wirklich nur für die kolorektale Chirurgie – ich möchte nochmal betonen, dass für die Magen-Chirurgie, für die Ösophagus-Chirurgie, für die Pankreas-Chirurgie dieses Vorgehen nicht belegt ist. Wir hatten auch eine Leitlinie „Perioperative Medizin, gastrointestinale Tumore“, da haben wir auch die Literatur aufgearbeitet, und wir haben keine Evidenz gefunden, die dieses Vorgehen bei allen abdominalchirurgischen Eingriffen unterstützt.

Mathias Pletz: An der Stelle vielleicht auch mal: Du bist ja auch Facharzt für Thoraxchirurgie, und ich bin von Haus aus eigentlich Pneumologe, bevor ich Infektiologe wurde. Was ich damals als junger Assistenzarzt von den Thoraxchirurgen gelernt habe, dass die desaströse Bronchusstumpfinsuffizienz, die mit einer Mediastinitis einhergeht und sehr selten überlebt wird, also zum Glück selten auftritt, aber wenn sie auftritt, ist die Prognose fast immer infaust, und dass das Risiko bei den Patienten steigt, die endobronchial eine sehr hohe Bakterienlast haben. Also, dass die Naht dann quasi ausreißt, sozusagen, wenn das Gewebe entzündet, wenn es infiziert ist und dadurch die Insuffizienz zustande kommt. Gibt es da eigentlich auch Daten, die sagen, wenn ich so eine Lungenteilresektion mache aufgrund eines Bronchialkarzinoms, zum Beispiel bei einem Patienten mit einer schweren COPD, der sehr stark gramnegativ kolonisiert ist, dass ich hier vorher vielleicht inhalative Antibiotika gebe? Kennst du Daten dazu, oder ist das etwas, was wir einfach mal untersuchen sollten?

Christian Eckmann: Das ist ein wirklich interessanter Aspekt, der ja im Grunde genommen so eine Art selektive, orale oder transbronchiale Dekontamination darstellen würde. Finde ich super interessant. Darüber gibt es überhaupt keine Daten. Als Chirurg muss man natürlich auch in den Spiegel schauen und feststellen, dass Bronchusstumpfinsuffizienzen unter Umständen auch einen chirurgischen Aspekt haben. Das will ich nicht verschweigen, dass wir das mit einer endobronchialen Inhalation möglicherweise auch nicht verhindern können. Aber ich finde den Ansatz sehr, sehr interessant. Das könnte man insbesondere bei Risikokonstellationen, bei relativ zentralen Tumoren, wo man Manschettenresektion machen muss, wo die bronchiale Rekonstruktion sehr kompliziert ist, erwägen. Für, sag ich mal, generelle Operationen beim peripheren Lungenkarzinom sehe ich dafür keine besondere Indikation. Aber die standardmäßige intravenöse Antibiotikaprophylaxe, die gehört natürlich dazu, weil die Wundinfektionsraten so hoch sind, dass es sich lohnt, eine Prophylaxe zu machen.

Sprecher: Darf ich kurz unterbrechen?! Wer nicht fragt bleibt dumm?! Nutzen Sie als Angehörige medizinischer Fachkreise den Fragen- und Antwortenservice des consilium. Stellen Sie Fragen aus Ihrem Praxis- oder Klinik-Alltag und wir leiten diese anonymisiert an einen Experten aus unserem Expertenboard weiter. Die Expertenantwort lassen wir Ihnen zukommen - natürlich kostenfrei. Weitere Informationen finden Sie in den Shownotes. Jetzt geht es spannend weiter mit consilium infectiorum – dem infektiologischen Klinik-Podcast.

Sprecher: Targeted prophylaxis – zusätzliche Aspekte

Mathias Pletz: Jetzt kommen wir noch einmal ganz kurz bei der targeted prophylaxis auf einen Erreger zurück, über den wir schon ganz viel diskutiert hatten, nämlich die Enterokokken. Also anpassen an den Besiedlungsstatus bei multiresistenten Gramnegativen und ESBL, aber wie sieht es aus, wenn ein Patient VRE-kolonisiert ist, und es ist ein Eingriff intraabdominal. Muss da bei jedem intraabdominalen Eingriff die Coverage mit dem VRE erfolgen oder nur beim kolorektalen Eingriff? Wie gehst du da konkret vor?

Christian Eckmann: Ja, also, der Gedanke, die Prophylaxe da anzupassen, sollte sich wirklich nur auf die Operation spezialisieren, bei denen die Enterokokken auch wirklich eine Rolle spielen. Das wären alle intraabdominellen Operationen. Wenn ich jetzt zum Beispiel bei solch einem Patienten die Schilddrüse operiere oder einen Leistenbruch, dann würde ich das nicht zwingend anpassen. Aber es gibt eine Menge Konstellationen, bei denen eine präoperativ bekannte Kolonisation mit VRE auch intraoperativ relevant werden könnte. Hier kann ich auch wieder plaudern aus der europäischen Leitlinie für die grampositiven resistenten Erreger und die perioperative Prophylaxe, wo wir jetzt gerade in der letzten Woche abgestimmt haben, wie wir uns da äußern bezüglich der Empfehlung. Es gibt sehr, sehr wenig bis gar keine Evidenz einer angepassten Prophylaxe bei VRE mit zum Beispiel Linezolid. Theoretisch wäre auch Tigecyclin eine interessante Idee bei abdominalchirurgischen Eingriffen, weil es auch die Gramnegativen erreicht. Da sehe ich sowieso für das Tigecyclin möglicherweise eine Zukunft, oder Linezolid. Für Daptomycin haben wir keinerlei Daten. Tatsache ist aber, es gab so wenig Daten, dass wir dazu keine konkrete Empfehlung geben konnten. Wie das immer so ist in der Leitlinie – das weißt du besser als ich – es gibt Leute, die unwahrscheinlich zurückhaltend und vorsichtig sind, und es gibt mutigere Menschen. Ich habe, wenn du so willst, eine Niederlage erlitten. Da wird jetzt nichts Besonderes drinstehen. Ich hätte gesagt, kann man anpassen, denn der Gedanke ist ja klar: Wir passen unsere Prophylaxe bei allen Patienten an, auch bei denen, die nicht resistent sind. Wir geben bei grampositiven Erregern Cefazolin und warum sollten wir ausgerechnet bei einem VRE-Patienten keine Prophylaxe geben, die den VRE-erreicht? Aber es gibt keine Evidenz. Man kann es nicht klassisch evidenzuntermauert empfehlen. Meine persönliche Empfehlung lautet: ja, anpassen bei abdominalchirurgischen Eingriffen, auch bei herzchirurgischen Eingriffen. Wenn das bekannt ist, eine Enterokokken-Endokarditis mit VRE, würde ich dringend anpassen. Und da würde ich sogar, glaub ich, Daptomycin geben, weil es nämlich unheimlich gut im Blutstrom seinen Job macht. Aber bei der Abdominalchirurgie würde ich auf Tigecyclin gehen.

Christian Eckmann: Penicillin-Anaphylaxie

Mathias Pletz: Jetzt haben wir, glaube ich, bei der individualisierten Prophylaxe das Thema Erreger wirklich – also „erschöpfend behandelt“ kann man nicht sagen, weil es immer wieder Konstellationen gibt, wo man eine individuelle Entscheidung treffen muss. Der zweite Punkt, den du genannt hattest, wo wir anpassen müssen, ist, wenn der Patient tatsächlich eine echte Penicillin-Anaphylaxie hat, weil mit einer Anaphylaxie die gesamte Wirkstoffgruppe Betalaktame wegfällt. Worauf setzt du da? Kommt selten genug vor, aber worauf setzt du da?

Christian Eckmann: Vorausgesetzt, dass die Grundprinzipien der Prophylaxe, auf die wir ja noch kommen, zu denen der single shot gehört, beachtet werden, habe ich kein Problem damit, dann ein Fluorchinolon als einzelne Prophylaxe zu geben: exzellente Gewebepenetration. Das verlangen wir von einem Antibiotikum für die perioperative Prophylaxe, dass es auch gut in das Gewebe eindringt. Das klassische Gegenbeispiel wäre Vancomycin bei MRSA-Besiedlung. Das würde ich nicht machen, weil es einfach so schlecht das Gewebe penetriert. Da könnte man lieber Cotrimoxazol oder so etwas geben als Einfachprophylaxe. Aber auf deinen Punkt zurück: Ich habe kein Problem mit einer Einmalgabe eines Fluorchinolons, wenn die Betalaktam-Allergie wirklich gesichert ist.

Mathias Pletz: Klares Statement, kann ich auch gut nachvollziehen. Tatsächlich ist die Gewebepenetration der Fluorchinolone ja auch noch mal besser als die der Betalaktame. Das muss man ehrlich sagen, auch wenn erklärte ABS-Strategie ist, den Fluorchinolon-Einsatz zu reduzieren. Aber ich denke, man muss das immer differenziert und balanciert betrachten und nicht immer nur in eine Richtung gehen.

Mathias Pletz: Prophylaxe bei Immunsuppression

Mathias Pletz: Du hattest auch Immunsuppression – und sicherlich Diabetes, ist ja auch eine Form der Immunsuppression – genannt, wo du dann häufiger eine Prophylaxe gibst. Das würde aber nicht bedeuten, dass man die Substanz wechselt, sondern dass man einfach bei Eingriffen, wo man normalerweise, weil sie sauber sind zum Beispiel, um bei der Schilddrüsenchirurgie zu bleiben, keine Prophylaxe gibt, wo man sich hier vielleicht doch überlegt, etwas zu geben. Habe ich das richtig verstanden, dass das einfach nur die Indikation erweitert?

Christian Eckmann: Genau. Dazu könnte ich jetzt, egoistisch wie ich bin, wieder mal auf die eigenen Daten aus der PLOS One-Publikation zurückgreifen…

Mathias Pletz: Gerne.

Christian Eckmann: … wo wir drei große Risikofaktoren für die Entwicklung einer Wundinfektion sehen konnten. Das eine ist der BMI über 30. Kommen wir sicherlich auch noch dazu, ob man da anders dosieren sollte. Das andere ist die Immunsuppression und das Dritte ist die Art des Eingriffs an sich. Das hatte ich ja auch schon gesagt. Da die Immunsuppression ein hoch-signifikanter Risikofaktor für die Entwicklung einer Wundinfektion ist, halte ich es für sinnvoll, bei allen Operationen eine perioperative Prophylaxe durchzuführen, auch bei denen, bei denen wir es bei nicht-immunsupprimierten Patienten nicht tun.

Mathias Pletz: Sehr gut, klares Statement! Kann man, glaube ich, auch gut in die Praxis implementieren und es ist plausibel und nachvollziehbar. Du hattest es jetzt schon angesprochen: Dosis bei adipösen Patienten. Und auch der Zeitpunkt und die Häufigkeit der Gabe, da gibt es ja, glaube ich, weniger Spielraum, sondern es ist in den Leitlinien relativ klar festgeschrieben. Also, wie sollte eine ideelle leitlinienkonforme perioperative Prophylaxe aussehen? Welche Dosis? Wie oft geben und zu welchem Zeitpunkt?

Fünf wichtige Punkte zur Umsetzung: 1. ABS-Team

Christian Eckmann: Ja, okay, also, da kommen wir jetzt sozusagen in den Bereich der Modalitäten. Gar nicht so sehr genau, was wir vorher besprochen haben, welche Erreger, welche Präparate und so weiter. Jetzt geht es darum, wie setzen wir es konkret um in den Kliniken. Da ist für mich immer, nicht nur als Kliniker, sondern auch als Wissenschaftler, wichtig: Kann ich das messen, was ich da für richtig halte? Da gibt es fünf Punkte, die wahnsinnig wichtig sind. Wir können jeden Einzelnen gerne zusammen besprechen. Das Erste ist: Bildung eines Antibiotic Stewardship-Teams oder Antimicrobial Stewardship-Teams. In allen Publikationen, die dazu durchgeführt wurden – das ist Level-2-Evidenz, kontrollierte before–after-Studien, interrupted time series, wie auch immer – hat man gefunden, dass, wenn sich ein Komitee einmal im Jahr trifft, die Wundinfektionsraten anguckt, die Erreger anguckt und dann anpasst oder verändert oder gleich lässt, dann ist die Wundinfektionsrate in diesen Krankenhäusern geringer als in den Krankenhäusern, die sich nicht treffen. Das ist Punkt 1, und ich glaube, dass wir auf dem besten Weg sind, in Deutschland flächendeckend Antibiotic Stewardship-Teams zu implementieren, bis hin, ich hätte fast gesagt, nach Hann. Münden, einem Grund- und Regelversorger von 250 Betten, haben wir das jetzt geschafft. Ich glaube, das war ein tolle Leistung der ganzen infektiologisch-wissenschaftlichen Öffentlichkeit, zu der du auch gehörst, oder wie siehst du das? Das ist eigentlich eine schöne, eine tolle Entwicklung der letzten zehn Jahre.

Mathias Pletz: Ja, ich glaube, da haben viele Kollegen wirklich gute Arbeit geleistet mit diesen ganzen Kursen. Und was mich auch freut, ich mache ja auch selber relativ viele Antibiotic Stewardship-Kurse, zu Beginn saßen da viele Intensivmediziner. Das war nachvollziehbar, weil es diejenigen waren, die die höchste Antibiotika-Anwendungsdichte in der Klinik zu vertreten haben. Intensivmediziner kennen sich auch sehr gut mit Antibiotika aus, das muss man klar sagen. Aber in den letzten Jahren wurde das Spektrum diverser. Da saßen dann auch Orthopäden, Urologen, Abdominalchirurgen. Also, es zieht sich mittlerweile wirklich durch fast alle Fachdisziplinen. Und gerade die Chirurgen, das habe ich von dir mal gelernt, dass Wundinfektionen sozusagen in der Chirurgie oft ein Thema sind, über das man nicht so gerne spricht.

Christian Eckmann: Genau.

Mathias Pletz: Weil das ja auch dem Chirurgen manchmal vor Augen führt, dass nicht alles gut gelaufen ist. Aber es ist ein sehr, sehr wichtiges Thema und die Chirurgen nehmen es auch immer mehr auf und übernehmen hier auch die Federführung, wie ich es auch für richtig halte, weil sie diejenigen sind, die die Endverantwortung für den Patienten haben. Ich glaube, das ist wirklich ein großer Erfolg.

Christian Eckmann: Ja, genau. Deswegen glaube ich, dass bei dieser Modalität 1 von den fünf wir quasi in Deutschland mehr oder weniger eine Checkbox dran machen können, sagen können, ja, das ist in vielen Bereichen verwirklicht, dass sich dort vor Ort die Kollegen um das Regime der Prophylaxe kontinuierlich kümmern. So. Nummer 1.

Christian Eckmann: 2. Anästhesie und 3. Timing

Christian Eckmann: Nummer 2: Gabe der Prophylaxe durch die Anästhesie. Es war ja früher üblich, dass der Chirurg mit einer Flasche Antibiotikum in letzter Sekunde in den OP-Saal hineinstürmte und sagte, das soll mal gegeben werden. Wir wissen mittlerweile genau, dass in der richtigen Zeit der Gabe – da kommen wir auch gleich drauf – nämlich etwa eine Stunde vor dem Eingriff, bis kurz vor Beginn des Eingriffs die Anästhesie am intensivsten an den Patienten dran ist, am nächsten an den Patienten dran ist. Und auch hier wieder haben wir Studien: Wenn die Anästhesie verantwortlich war für die Gabe der Prophylaxe, dann traten weniger Wundinfektionen auf, als wenn das andere zu verantworten hatten. Das ist, glaube ich, auch mittlerweile verwirklicht. Das sehe ich eigentlich als gegeben an. Das Entscheidende, das sich dadurch ergibt, ist das Timing der Prophylaxe, Punkt 3 der Modalitäten. Die allerallermeisten Präparate, die wir da verwenden, haben eine sehr kurze Halbwertszeit. Das bedeutet, dass sie auch bis kurz vor dem Eingriff noch gegeben werden können und eine adäquate Gewebekonzentration in wenigen Minuten erreichen. Aber das Entscheidende ist: vor der Inzision. Es begann mit einer Stunde vor der Inzision, dann 30 Minuten vor der Inzision. Mittlerweile kann man 60 bis 30 gegen 30 bis kurz vor Inzision vergleichen, es gibt keine Unterschiede. Das Entscheidende ist, dass die Gabe der Prophylaxe vor der Inzision erfolgt. Gestern habe ich noch bei einer Hernienoperation mein Skalpell wirklich kurz in der Hand halten müssen, weil die Prophylaxe während des Team-Timeouts noch reinlief. Dann habe ich wirklich gesagt, ja, ich warte jetzt noch zwei Minuten. Ich warte, bis die Prophylaxe gegeben worden ist, und dann, zum Zeitpunkt der Inzision, hat man die hohe Gewebekonzentration. Das ist das Entscheidende. Die postoperativ oder intraoperativ begonnene Prophylaxe hat keinen Einfluss auf die Wundinfektionsrate. Dann wird sie nicht weiter gesenkt. Es muss präoperativ gegeben werden. Das ist Punkt 3. Ich hoffe mal, dass das auch vielfach umgesetzt ist, obwohl internationale Studien darauf hinweisen, dass es meistens erst nach Intervention durch ein Infektionskontroll-Team so richtig gut läuft. Ich befürchte, dass auch in Hann. Münden einige Eingriffe durchgeführt werden, bei denen der Schnitt schon erfolgt ist und die Prophylaxe dann erst weiter reinläuft.

Christian Eckmann: 4. Re-Dosing

Christian Eckmann: Aber Punkt 4 und Punkt 5 sind – jetzt kommen wir ans Eingemachte – glaube ich, am ehesten noch zu verbessern. Nr. 4: Muss ich eine zweite Dosis geben, wenn die Operation länger dauert als beispielsweise drei Stunden, das ist die übliche Halbwertszeit? Von der Evidenz her kommen wir da auch nur auf Evidenzniveau 2–3, aber Tatsache ist, wenn man das bei Patienten nicht macht, sondern nach drei Stunden nicht erneut einen second shot gibt, dann ist die Wundinfektionsrate um den Faktor 4,5 erhöht.

Mathias Pletz: Darf ich kurz fragen, bei welcher Operation? Entschuldigung fürs Unterbrechen: Bei welcher Operation? Diese Daten, das finde ich bemerkenswert, das überrascht mich jetzt, muss ich sagen. Bei welcher Operation wurden diese Daten erhoben wurden?

Christian Eckmann: Ja, das sind natürlich größere abdominalchirurgische Eingriffe, gynäkologische, urologische Eingriffe, die länger dauern als drei Stunden. Das waren insgesamt 4.000 Patienten. Die Publikation von Kasatpibal () ist etwa zehn Jahre alt. Ein Mischkollektiv aus verschiedenen größeren Operationen. Sie haben eigentlich aus ihren Krankenhäusern das herausgenommen, was länger als drei Stunden dauert, dann haben sie gesagt, wer hat eine Prophylaxe bekommen und wer hatte keine? Und dann haben sie nach der Wundinfektionsrate geguckt. Das ist ein wichtiger Aspekt. Auch, wenn man einen größeren Blutverlust hat von einem Liter oder mehr, das kann ich nicht genau in Millilitern beziffern. Bei Leberoperationen können auch mal größere Blutmengen verloren gehen, dann ist natürlich nicht nur das Blut im Sauger, sondern es gehen auch Antibiotikamoleküle dabei verloren, und dann ist auch ein Re-Dosing indiziert.

Mathias Pletz: An der Stelle eine kurze Zwischenfrage: Wie sieht es aus, wenn der Patient an der Herz-Lungenmaschine liegt, ich also noch viel extrakorporale Zirkulation habe? Meistens dauern die Eingriffe ja sowieso länger als drei Stunden, aber muss dann vielleicht auch anders dosiert werden bei solchen Patienten?

Christian Eckmann: Da kommen wir natürlich in den Extrembereich, aber das Prinzip ist das Gleiche. Auch durch diese extrakorporale Membranoxygenierung wird Antibiotikum aus dem Körper herausgeholt. Ja, natürlich brauchen diese Patienten ein Re-Dosing. Da würde ich sogar noch häufiger, vielleicht alle zwei Stunden, sehen. Ob da eine doppelte Dosierung sinnvoll ist oder nicht, das halte ich für nicht belegt, weil wir dann manchmal auch hydrophile oder lipophile Antibiotika haben, die wieder da geben, bei denen dann dieser Aspekt keine große Rolle spielt. Aber ein Re-Dosing bei ECMO halte ich für absolut sinnvoll.

Mathias Pletz: Und der letzte Punkt ist sicherlich die sicherlich die Dosis, über den du sprechen wolltest?

Christian Eckmann: Nee. Dosis nehmen wir auch noch mit rein. Das ist dann Punkt 3,5 oder so, ich weiß nicht [Schmunzeln]. Nein, der letzte Punkt wäre die Dauer der Prophylaxe. Aber der Punkt mit der Dosierung ist wahnsinnig interessant. Wir haben von bariatrischen Operationen ein paar Daten, die aber nicht richtig gut sind. Es gibt eine Arbeit von Edmiston (), der bei der Gabe von 2 g Cefazolin bei Patienten mit verschiedenen BMI über Mikrodialyse die Gewebekonzentration des Cefazolins gemessen hat. Bei einem BMI bis zu 30 ist die Gewebekonzentration im Vergleich zum Plasmaspiegel noch 50 %. Bei BMI bis 40 sind es nur noch 22 %, und beim BMI über 40 sind es unter 10 %. Das bedeutet, eine Anpassung der Prophylaxe ist sinnvoll bei diesen Patienten, aber wir sind im evidenzfreien Bereich. Meine persönliche Empfehlung ist: BMI über 30 von 2 g auf 3 g Cefazolin gehen. BMI über 40 auf 4 g gehen. Aber du kannst mich dafür erschlagen, es gibt keine randomisierte klinische Studie, die das jemals untersucht hat.

Mathias Pletz: Aber es ist absolut plausibel.

Mathias Pletz: 5. Dauer. An die „number needed to harm“ denken!

Christian Eckmann: Ja, aber da sind wir doch echt im nebulösen Bereich. Das muss man so deutlich sagen. Der 5. Punkt wäre halt: Muss man die Prophylaxe postoperativ fortführen? Ich wurde so erzogen in den ersten Jahren: 5 Tage nüchtern, 5 Tage Antibiose – dieses schreckliche Wort – 5 Tage Antibiose, und hab mir immer Gedanken gemacht: Warum gibt man das jetzt? Die Wunde ist doch zu! Warum geben wir eigentlich das Antibiotikum noch weiter? Und mittlerweile haben wir sehr, sehr gute Metaanalysen und systematische Reviews. Die Beste ist von der holländischen Arbeitsgruppe, die 2020 publiziert wurde (). Sie hat sich insgesamt 52 randomisierte klinische Studien vorgenommen, in denen untersucht wurde einerseits Patienten, bei denen die Prophylaxe direkt am Ende der Operation beendet wurde, und verglichen mit der Gruppe der Patienten, bei denen die postoperative Prophylaxe fortgeführt wurde, für 24 Stunden oder bis zu drei Tage. Und von diesen 52 randomisierten Studien blieben 26 übrig, die der best clinical practice folgten, also das richtige Timing einhielten, dies Re-Dosing einhielten. Und in diesen 26 randomisierten klinischen Studien zeigte sich überhaupt kein Effekt auf die Wundinfektionsrate durch eine postoperative Fortführung für wie lange auch immer. Es macht keinen Unterschied.

Mathias Pletz: Das ist ein ganz spannender Aspekt, den du gerade gebracht hast. Wie du eben gesagt hattest war die Sozialisierung in den letzten 20 Jahren diesbezüglich ganz anders. Da wurde länger gegeben, weil man dachte, man senkt damit die Wundinfektionsrate. Aber es blieben meiner Erinnerung nach einige wenige Operationen, wo es tatsächlich ein bisschen Evidenz gibt, dass man hier vielleicht doch ein bisschen länger geben sollte. Thoraxchirurgie, glaube ich, da hatte ich mal eine kleinere Studie gesehen, wo eine Gabe bis 48 Stunden noch eine Verbesserung gebracht hat. Aber wie gesagt, es ist es alles nur monozentrisch, retrospektiv gewesen in der Regel. Kann man das wirklich zum Dogma machen oder steht es auch so als Dogma in den Leitlinien, dass keine postoperative Gabe, also sozusagen nach Nahtschluss keine weitere Antibiotikagabe sinnvoll ist über alle Gebiete der Chirurgie hinweg? Oder gibt es da noch irgendeine Ausnahme?

Christian Eckmann: Wie du schon sagtest, es gibt also Einzelstudien, auch in der Herzchirurgie, wo eine bis zu 24-stündige Fortführung etwas weniger Wundinfektionen hatte, im Trend, gar nicht mal signifikant. Das übernehmen dann solche Kollegen sehr gerne und sagen dann: ‚Ja, da steht es doch!‘ Aber wir sind im evidenzbasierten Zeitalter. Das kann die randomisierten klinischen Studien, die in vielen Bereichen gelaufen sind, nicht schlagen. Und welche Besonderheit sollten denn herz- und thoraxchirurgische Eingriffe auch ausweisen, dass eine verlängerte Prophylaxe da sinnvoll sei? Was ist das Besondere daran, dass ausgerechnet die es länger haben müssen? Letzte Woche hat mir eine zauberhafte Kollegin aus Österreich eine E-Mail geschickt von ihren Thoraxchirurgen, die eine Woche lang noch die Prophylaxe geben. Sie ist so verzweifelt, und sie fragte mich: ‚Was kann ich tun?‘ Da habe ich gesagt: ‚Ja, hier, ich schicke Ihnen die Studien, und dann hoffe ich, dass Sie da helfen können.‘ Oft werden solche Single-Center-Studien dazu benutzt, sich die Evidenz so zu biegen, wie man es gerne hätte. Aber um deine Frage zu beantworten, die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation, die Empfehlung der internationalen Leitlinien aus den USA, der Surgical Infection Society und auch unsere Empfehlung, die S3-Leitlinie, die wir dann formulieren werden, die sind eindeutig, dass eine postoperative Fortführung nicht indiziert ist und nicht durchgeführt werden sollte. Warum? Man könnte ja sagen: ‚Schadet ja nix.‘ Aber es schadet. Es schadet! Auch diese Daten kommen aus Amerika, von Branch-Elliman die Studie (), die zeigte, dass, wenn man eine perioperative Antibiotikaprophylaxe, in welchem Bereich auch immer, für drei Tage fortsetzt, dass das Toxizitätsrisiko, in diesem Falle die Entwicklung einer Nierenschädigung, um das Vierfache gesteigert wird. Da kommen wir zu einem sehr seltenen Begriff: NNH, „number needed to harm“. Man muss dann nur sechs Patienten sinnloserweise drei Tage Antibiotika geben, um eine Nierenschädigung auszulösen. Gleiches gilt für bakterielle Superinfektionen. Das Auftreten von Clostridium difficile-Infektionen war in dieser Studie bei den Patienten, die drei Tage Prophylaxe bekommen haben, um den Faktor 3,5 höher als bei den Patienten, bei denen man das postoperativ direkt beendete beziehungsweise bis zu 24 Stunden noch gab. Das muss ich in dem Zusammenhang auch sagen. Ich kann es nicht anders sagen. Eine postoperative Fortführung der Prophylaxe ist eine Körperverletzung.

Mathias Pletz: Vielen Dank für das klare Statement und auch nochmal für die Daten. Ich glaube, viele unserer Zuhörerinnen und Zuhörer werden tatsächlich eben mit dieser Diskussion konfrontiert, und das ist ein großes Asset dieser Podcastfolge, dass wir die guten Argumente für die Einmalgabe beziehungsweise keine Fortführung postoperativ, dass wir die Daten dazu in die Shownotes stellen. Auf die Studie wollte ich dich gerade noch ansprechen, aber du hast sie schon gebracht.

Christian Eckmann: Ja, und ich denke, wenn ich kurz einfügen darf, es gibt natürlich immer Sondersituationen. Wenn ein Kollege bei einer Pankreasoperation den Gallengang eröffnet und es tritt Eiter aus, weil der gestaut ist und nicht vorher gestentet wurde, dann ist das natürlich eine Indikation für eine postoperative Fortführung einer Antibiotikagabe. Aber dann ist es eine Therapie der Cholangitis und keine perioperative Antibiotikaprophylaxe. Dass ist, wie gesagt, eine Sondersituation und nicht eine Verallgemeinerung.

Parallel zur Prophylaxe: keine Rasur, Normothermie, -glykämie, Nahtmaterial und Hautdesinfektion

Mathias Pletz: Das stimmt. Du hattest eingangs, als du das erwähnt hattest, auch noch gesagt, dass die perioperative Prophylaxe tatsächlich nur eine Säule der Bündelstrategie ist, Wundinfektionen zu verhindern. Und du hattest auch noch einige Dinge gebracht, mit denen sich Infektiologen eher nicht so auseinandersetzen, weil sie in den Bereich der Anästhesie fallen, also auch die Vorbereitung der Patienten. Vielleicht sollten wir sie der Vollständigkeit halber trotzdem nochmal kurz ansprechen. Es ging um Normothermie, es ging um Blutglukoseeinstellung. Vielleicht kannst du hier nochmal sagen, was die wesentlichen Dinge sind, die unsere Zuhörerinnen und Zuhörer auch kennen sollten, wenn man quasi an seiner Klinik darüber spricht, wie man die Wundinfektionsrate senken kann.

Christian Eckmann: Ja. Ich habe mir jahrelang Gedanken gemacht: Was ist so eine Top-5-Liste? Was sollte man außer der Prophylaxe noch tun, um Wundinfektionen zu verringern, und was kann man einfach im klinischen Alltag umsetzen, und was kostet nicht viel? Nummer 1 ist: verzichten auf die Rasur, man lässt die Haare drauf. Das hat keine erhöhte Wundinfektionsrate, und wenn man die Haare entfernen möchte / Schrägstrich / muss, zum Beispiel Neurochirurgie oder so etwas, dann sollte man das mit dem Clipper tun, direkt kurz vor der Operation, weil die keine erhöhte Wundinfektionsrate haben. Die Verwendung des Einmalrasierers ist ein Trauma für die Haut und erhöht die Rate an Wundinfektionen im Vergleich zu den Patienten, bei denen man gar nichts macht. Das ist das Allereinfachste: auf etwas zu verzichten, nämlich die Rasur. Das kostet nichts und bringt sehr viel. Eine Verringerung der Wundinfektionsraten von bis zu 60 % in den Studien, also ein einfaches Ding. Zweitens: Normoglykämie, Normothermie. Normothermie ist, glaube ich, schon ubiquitär verbreitet. Da sind diese Bair Hugger, diese Wärmedecken im OP. Auch da haben wir exzellente Evidenz, dass das die Wundinfektionsrate senkt, wenn die Gewebetemperatur – kann man sich vorstellen – im normalen Bereich bleibt und damit auch die Aktivität der Immunabwehr nicht durch eine Hypothermie unterbunden wird. Normoglykämie ist schwierig, ist schwierig. Das heißt nämlich, dass man bis zu 6–24 Stunden nach der Operation die Blutglukoselevel auf einem normalen bis hoch-normalen Level hält in den Studien. Ich glaube, das ist etwas, was bestenfalls bei den Patienten umzusetzen ist, die postoperativ auf Intermediate Care oder Intensiv landen. Der Standardpatient wird nicht glukoseüberprüft. Ich glaube, das ist nicht umsetzbar. Wahrscheinlich müssen wir uns tatsächlich auf die komplexeren Eingriffe fokussieren und dort die Normoglykämie noch mehr umsetzen. Ich glaube, dass ist ein Punkt, der in die Anästhesie hineinfällt, und den postoperativen Bereich. Da haben wir, glaube ich, noch ganz viel zu tun. Auch hier vor Ort ist es nicht immer so einfach – wie man das immer so schön auf Vorträgen sagen kann – in die Realität umzusetzen. Das wären zwei weitere Punkte. Vielleicht aus dem Bereich der Chirurgie: Wir haben sehr gute Evidenz dafür, dass, wenn man ein bestimmtes Nahtmaterial verwendet, das mit Triclosan beschichtet ist, die Wundinfektionsrate etwa 30 % niedriger ist, im Grunde genommen egal, welcher Eingriff. Das kostet auch nur ein paar Cent mehr als das Nahtmaterial, das es nicht hat. Das ist, glaube ich, auch eine relativ einfach umzusetzende Maßnahme. Und bei der Hautdesinfektion haben wir neuere Evidenz, dass wenn man den alkoholischen Desinfektionsmitteln noch Chlorhexidinglukonat als remanenzwirksames, also bis zu 24 Stunden postoperativ wirksames, Hygiene-Desinfektionsmittel hinzusetzt, dann ist die Infektionsrate auch signifikant niedriger. Das Problem ist hier, dass es teuer ist.

Mathias Pletz: Genau, in dem Zusammenhang: Wie sieht es aus mit den Ganzkörperwaschungen vor der Operation? Immer oder nur, wenn alloplastisches Material eingebracht wird?

Christian Eckmann: Evidenzbasiert nur bei Hoch-Risikoeingriffen, also Herzthoraxchirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie. Dort ist die Ganzkörperwaschung mit Chlorhexidin plus einer nasalen Dekolonisation mit Mupirocin bei einem nachgewiesenen Staph. aureus-Status mit einer exzellenten Verringerung von Wundinfektionen verbunden. Arbeit im New England Journal, Bode et al. (), hat das gut gezeigt. Also in denen ja, aber weiß Gott nicht für alle Eingriffe. Es muss jetzt nicht jeder Chlorhexidin duschen.

Christian Eckmann: Das Wichtigste in Kürze

Mathias Pletz: Ja. Ich habe gerade auf die Uhr geguckt. Wir haben sehr, sehr lange diskutiert. Also ich könnte dir auch wirklich noch sehr lange zuhören. Du bist ja ein Fundus des Wissens, was die Studienzitate anbelangt. Ich glaube, wir werden diesmal sehr, sehr lange Shownotes haben. Um das Ganze nochmal gut zusammenzufassen: Wir haben nicht nur über perioperative Prophylaxe mit Antibiotika gesprochen, über die targeted oder individuelle Prophylaxe, wo sozusagen berücksichtigt werden sollte der Kolonisationsstatus des Patienten, Immunsuppression ja oder nein oder auch Allergien. Wir haben über die Modalitäten der perioperativen Prophylaxe gesprochen. Also ganz wichtig: Teamarbeit, dass man sich einmal im Jahr die Wundinfektionsrate ansieht, dass man überlegt, was man optimieren kann. Da gibt es so viele Daten aus den verschiedenen Bereichen der Medizin, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit das Patienten-Outcome verbessert! Wir haben darüber gesprochen, dass die Gabe durch die Anästhesie erfolgen sollte, weil der Zeitpunkt ganz wichtig ist, nämlich vor der Inzision innerhalb einer Stunde – aber ganz wichtig – bevor das Skalpell angesetzt wird, dass wir die Gewebespiegel haben. Wir haben über Re-Dosing gesprochen, bei längeren OPs – länger als drei Stunden – oder OPs zum Beispiel mit Herz-Lungenmaschine. Wir haben über Dosis gesprochen. Da hattest du beeindruckende Zahlen gebracht, die ich noch gar nicht kannte, dass beim BMI über 30 dann sozusagen nur noch die Hälfte ankommt, BMI über 40 gar nur noch 10 %, wobei wir nicht genau wissen, wie hoch wir da dosieren sollten. Und zum Schluss haben wir nochmal gesprochen über die nicht-antibiotischen Maßnahmen, die sich vielleicht auch relativ einfach implementieren lassen, um die Wundinfektionsraten zu senken. Das heißt, im Bereich der Anästhesie Normothermie, Normoglykämie, im Bereich der Chirurgie das Triclosan-Nahtmaterial, die Zugabe von remanenten Mitteln, wie zum Beispiel dem Chlorhexidin, nicht nur alkoholische Hautdesinfektion. Und im Hoch-Risikobereich die Ganzkörperwaschung, also zum Beispiel Orthopädie oder Herzchirurgie. Das waren ganz viele Fakten und Aspekte, die wir diskutiert hatten, und ich bin nach wie vor sehr beeindruckt, dass du diese ganzen Studien so flüssig zitieren kannst. Ich habe mir viele Notizen gemacht. Zum Ende frage ich unsere Gäste immer, was die drei wichtigsten praktischen Dinge sind, die sie den Zuhörerinnen und Zuhörern mit auf den Weg geben wollen. Und ich würde vielleicht auch noch eine eigene Bitte stellen. Du hast unheimlich viel Literatur genannt. Gibt es denn eine Leitlinie oder einen guten Review, den du ans Herz legen würdest, wenn man sich schnell in das Thema einlesen möchte, mit praxisrelevanten Hinweisen, um vielleicht am eigenen Haus das Programm „Perioperative Prophylaxe“ zu optimieren?

Christian Eckmann: Vielen Dank für deine wirklich lieben Worte. Es liegt vielleicht jetzt an der Vorbereitung der Konsensuskonferenz, und auch gestern hatte ich noch einen ABS-Kurs mit den Kollegen aus Bonn, dass ich einfach die Studien deswegen so hurtig gerade memorieren kann. Wahrscheinlich ist der Eindruck von mir besser als es wirklich ist, aber das nehme ich natürlich gerne an, dein Lob. Bezüglich der Publikationen fangen wir mal mit dem Letzteren an, das du gesagt hast. Da würde ich zwei Publikationen empfehlen. Das eine ist die amerikanische Leitlinie von Bratzler et al. (), sehr pragmatisch, 15 Seiten, klar und deutlich gesagt: So machen wir es. Also ist sicherlich jetzt nicht S3-Niveau, alles abgewogen und, hm, der Evidenzreport… aber es ist eine pragmatische Anleitung, die ich gut finde für die perioperative Prophylaxe. Die WHO-Empfehlung für die Prävention von Wundinfektionen () finde ich exzellent, auch wenn sie 2016 schon publiziert worden sind. Ich halte sie auch für ein bisschen besser als die KRINKO-Empfehlungen (), die für mich ein bisschen sehr technisch-apparativ geworden sind, die aber auch gut sind, keine Frage. Und bezüglich des Gesamtpakets „Verhinderung von Wundinfektionen“ gibt es eine im letzten Jahr von Seidelman et al. in JAMA () publizierte exzellente Review von Level-1-Evidenz zur Prävention von Wundinfektionen, von Arbeiten, die seit 2016, seit WHO, publiziert worden sind. Es ist ein Genuss, das zu lesen, und es lassen sich daraus so wertvolle Schlussfolgerungen ziehen für das eigene Vorgehen.

Christian Eckmann: Teil eines Gesamtkonzeptes, zunehmend individualisierte Prophylaxe, Modalitäten beachten und keine postoperative Fortsetzung

Christian Eckmann: Jetzt zu den drei Sachen, die man beachten, oder drei, die man nicht beachten sollte. Also Nr. 1 ist für mich, dass die perioperative Prophylaxe in das Gesamtkonzept der Prävention von Wundinfektionen gehört. Wenn man sie richtig anwendet, dann gehört sie zu den effektivsten Präventionsmaßnahmen in der Medizin überhaupt. Wir hatten ja über eine NNT von 4 gesprochen oder von 5. Zum Vergleich: Meines Wissens ist bei einem CHADS-VASc-Score von 3, die Einnahme oraler Antikoagulanzien zur Schlaganfallprophylaxe indiziert, und ich würde das auch einnehmen, wenn ich einen CHADS-VASc-Score von 3 hätte, aber die NNT liegt bei 200! Also mal so im Vergleich, wo wir eigentlich liegen, wie toll die Prophylaxe ist. Also Nr. 1: In dem Gesamtkonzept eingepackt, ist das super. Nr. 2: Die Prophylaxe zunehmend individualisiert gestalten, also nicht nur die resistenten Erreger, sondern auch den Immunstatus des Patienten, das Gewicht der Patienten und so weiter mit einbeziehen, ein bisschen weg von „one size fits all“, jeder kriegt das Gleiche und immer mehr in die Richtung „individualisiert“, auch was du sagtest, Betalaktam-Allergie berücksichtigen, gut anamnestizieren, all diese Dinge berücksichtigt, das ist Nr. 2. Und Nr. 3: Diese drei, vier, fünf Modalitäten, über die wir sprechen, die würde ich sehr gerne beachtet sehen. Das sind die „Dos“, und bei den „Don‘ts“ ist für mich Nr. 1 und Nr. 2 und Nr. 3: nicht die Prophylaxe postoperativ fortführen!

Mathias Pletz: Das war ein klares Schlusswort. Ich glaube, das war eine sehr gute Folge mit sehr vielen praktischen Hinweisen, und vor allen Dingen hast du auch unseren Zuhörerinnen und Zuhörern geholfen, dass sie gute Argumente haben, um in die Diskussion, in die interdisziplinäre Diskussion einzutreten. Wir werden diese Argumente, wie gesagt, in den Shownotes verlinken. Also großartig, vielen, vielen herzlichen Dank! Ja, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank für Ihr Interesse. Ich hoffe, Sie bleiben uns treu. Und nochmal der Hinweis: Sie bekommen auch CME-Punkte, wenn Sie die Fragen beantworten, und wir würden uns natürlich freuen, wenn Sie uns noch nicht abonniert haben, dass Sie es tun. Wir freuen uns auch über Feedback. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag und viel Erfolg beim Versorgen Ihrer Patienten!

Christian Eckmann: Vielen Dank, Mathias. Es war wie immer eine große Freude und Ehre mit dir das zu machen.

Christian Eckmann: ________________________________________

Sprecher: Das war der infektiologische Klinik‐Podcast des consilium infectiorum. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und freuen uns über Ihre Bewertung oder Feedback an klinik@infectopharm.com. Die E‐Mail‐Adresse finden Sie auch in den Shownotes. Empfehlen Sie den Podcast gerne Ihren Kollegen, denn Wissen wirkt, wenn man es teilt. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!

Sprecher: Ihr Team von InfectoPharm.

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